Kapitel 4.1 - Geschichte der spinalen HVLA-Manipulationen
Historisch gesehen, werden SHVLAM als manualtherapeutische Interventionen schon lange angewendet. Weltweit sind interdependente sowie parallel verlaufende Entwicklungen innerhalb verschiedensten kulturellen Gemeinschaften wahrnehmbar. Mehr als 2000 Jahre alte Statuen in buddhistischen Tempelanlagen in Thailand zeigen Abbildungen von manuell angewendete Manipulationstechniken an der lumbalen Wirbelsäule (vgl. Cyriax 1954: 149). Obwohl in den antiken mediterranen Kulturkreisen wie dem Babylonischen, dem Mesopotamischen, dem Assyrischen oder dem Ägyptischen gefunden worden sind, und somit kein schriftlicher Beweis für die Anwendung der SHVLAM geliefert werden kann, muss angenommen werden, dass spinale Manipulationen ihren Ursprung in diesen Kulturkreisen haben (vgl. Pettman 2007: 165). Den ersten direkten Beweis für die Anwendung spinaler Manipulationen lieferte der Vater der Medizin, Hippokrates (460-370 BC) (vgl. Adams 1849: 606ff). In seinem Werk über die Gelenke beschrieb er Behandlungen spinaler Deformitäten, bei denen der Patient an einer Leiter hängend hin und her geschüttelt wurde. Später entwickelte Hippokrates zur Behandlung von Gibus oder prominenten Wirbeln eine spezielle Behandlungsliege mit verschiedenen Gurten und Rädern, welche die Wirbelsäule unter Traktion setzen (vgl. Adams 2006: 369). Der Therapeut applizierte dann mit seiner Hand, seinem Fuss oder einem hölzernen Stab einen Druck auf die Wirbelsäule, welche auch mit einem kurzen Stoss – ein Thrust – ausgeführt wurde. Manchmal setzte sich der Therapeut kurzerhand auf den Patient drauf. Hippokrates berichtete, dass Bewegungsübungen auf diese Behandlungen folgen sollten (vgl. Adams 2006: 221ff).
In 18 der 97 erhaltenen Abhandlungen greift der Römische Chirurg Claudius Galen (131-202) auf die manipulative Behandlungsmethode des Hippokrates zurück (vgl. Pettman 2007: 165). Figur 4.1 zeigt ein Bild seiner sogenannten Hippokrates-Liege. Bemerkenswert ist, dass die Grundentwürfe der Manipulationsliege sowie die Prinzipien der M
Der Persische Gelehrte Abu Ali Ibn Sina (980-1037), auch unter dem lateinischen Namen Avicenna bekannt, zählt zu den größten muslimischen Denkern des Orients. Um 1030 verfasste er sein Hauptwerk Kanon der Medizin Al-Qanun fi-t-Tibb in fünf Bändern (vgl. Gruner 1929), in welchem er die SHVLAM als Behandlung beschreibt, um lokale Schmerzen in der Wirbelsäule zu behandeln (vgl. Schullian et al. 2012: online). Diese umfassende Enzyklopädie der Medizin zählt zu den größten medizinischen Lehrbüchern der Welt und war über Jahrhunderte hinweg das zentrale medizinische Referenzwerk an vielen medizinischen Fakultäten europäischer Universitäten. Die lateinische Übersetzung seiner Werke inspirierte Leonardo Da Vinci und beeinflusste so das Aufkommen der westlichen Medizin am Ende des Mittelalters (vgl. Haldemann 1993: 165f).
Der Militärarzt Ambroise Paré (1510-1590), der als Vater der französischen Chirurgie betrachtet wird, beschreibt im Jahre 1582 in seinem Werk die SHVLAM, welche als mechanische Korrektur bei spinalen Verkrümmungen eingesetzt wurde (vgl. Paré 1582: 440ff).
Spinale Manipulationen mit Impuls wurden auch von Naturvölkern angewendet. Kulturen wie die Balinesische (vgl. Pettman 2007: 165), die Lomi-Lomi auf Hawaii (vgl. Craighill/Pukui 1985: 26), die Schamanen Zentralasiens (vgl. Anderson 1989: 9), die Sabodors in Mexico (vgl. Anderson 1987: 43ff) sowie Boneseters in Norwegen (vgl. Anderson 1992: 13ff), in Russland oder in Nepal (vgl. Anderson 1984: 45ff) sowie fernöstliche Kulturen wie die der Chinesen und Japaner sowie jene der Inder, wandten die SHVLAM an. Kapitän James Cook zum Beispiel beschrieb anno 1777 in sein Tagebuch, wie seine Ischias durch Tahitische Frauen effektiv behandelt worden waren. Er wurde zusammengequetscht und „they made my bones crack“ (Wharton 2010: 4 online). Der Gründungsvater der Osteopathie, Andrew Taylor Still wurde durch das so genannte Knochensetzen der Shawenee Indianer inspiriert.
In Europa wurden manipulative Behandlungsmethoden in bestimmten Familien über Generationen weitergegeben. Diese Bonesetters gaben die Kenntnisse ihren Söhnen und manchmal ihren Töchtern weiter, ohne speziell ausgebildet zu sein und diese Kenntnisse zu dokumentieren. Definitionen in den verschiedene Sprachen wie Knochenbrecher, les Rebouteux, Bottenbrekers oder Bone-Setters beruhen darauf, dass das Ziel der Manipulationen darin bestand, den Knochen mechanisch auf seinen Platz zurück zu bringen und somit eine Körperfunktion mechanisch gesehen wieder herzustellen.
Friar Moulton (Bruder Thomas), ein Mönch des Ordens der Augustiner, beschreibt um das Jahr 1590 in The complete bone-setter eine Behandlungsmethode für frakturierte Knochen, mechanische Überbelastungen, sogenannte strains sowie dislozierte Gelenke (vgl. Moulton 2012: online, Homola 1963: online). Diese manuell und mit Impulsen auf der Wirbelsäule ausgeführten Manipulationen hatten einen positiven Einfluss auf verschiedenste Erkrankungen und deren klinische Symptome - sogar die Pest konnte positiv beeinflusst werden. Johannes Scultetus publizierte 1674 in The Surgions Storehouse weiterführende Versionen der spinalen Manipulationen des Hippokrates (vgl. Anderson 1983A: 11f).
Um 1830 beschrieb ein Arzt aus London – Dr Riadore – seine Vermutungen, dass für viele Erkrankungen die Ursache in den spinalen Nerven zu suchen sei (vgl. Livingston 1981: 301). Dr. John Eberle vom Ohio Medical College (USA) beschrieb 1831 die spinale Irritation durch Dislozierungen von Wirbeln als Ursache peripherer Symptome (vgl. Eberle 1831: 382).
Dr. Hugh Owen Thomas (1834-1891), der als Vater der britischen orthopädischen Chirurgie gilt, stammte aus einer Bonesetter-Familie. Er kritisierte diese Bonesetters vehement, nachdem diese viel Schaden an Knochen und Gelenken, welche von Tuberkulose angegriffen worden waren, angerichtet hatten. Daraufhin verurteilte die westliche Medizin die SHVLAM der Bonesetters (vgl. Anderson 1983b: 5ff). Als einige Dekaden später die Osteopathie sowie die Chiropraktik aufkamen, hatten sie, weil sie die Manipulation an Knochen als wesentlichen Bestandteil ihres Behandlungskonzeptes sahen, einen schweren Stand, in medizinischen Kreisen Anerkennung zu gewinnen. SHVLAM, ausgeführt durch Bonesetters, wurden aber auch von einigen tonangebenden Medizinern des 19. Jahrhunderts befürwortet. So publizierte Sir Dr. James Paget anno 1867 in The British Medical Journal den Artikel Cases that bonestetters cure, in welchem er für die Bonesetters und die von ihnen angewandten Manipulationen eine Lanze brach. Sein Plädoyer sollte Mediziner lehren und auffordern das zu erkennen, was an Manipulationen positiv ist. Sie sollten Lehren ziehen aus den Misserfolgen der Bonesetters. “Few of you are likely to practice without a bonesetter for a rival; and if he can cure a case which you have failed to cure, his fortune may be made and yours marred. Learn then to imitate what is good and avoid what is bad in the practice of bonesetters” (Paget 1867: 1). Weitere Schützenhilfe bekam die manipulative Therapie durch Dr. Wharton Hood, welcher sich von Bonesetters ausbilden lies und 1871 im renommierten Medizinjournal The Lancet eine technische Anleitung für Manipulationen der Extremitäten publizierte (vgl. Anderson/Wharton-Hood 1981: 59ff). Um 1880 bekam die HVLA-Manipulation immer mehr medizinische Anerkennung und war Thema an vielen Tagungen, wie dem jährlichen Meeting der Britisch Medical Association von 1882. Der Gründungspräsident von Britisch Orthopaedics, Robert Jones, schrieb: „We should mend our ways rather than abuse the unqualified. Dramatic success in their hands should cause us to enquire as to the reason. It is not wise or dignified to waste time denouncing their mistakes, for we cannot hide that the fact that their successes are our failures“ (Pettman 2007: 166). Diese Aussage muss im Kontext einer Zeit betrachtet werden, in welcher die Antibiotika noch nicht erfunden worden waren und die Medizin auf viele Leiden und Erkrankungen keine passenden und effektiven Behandlungskonzepte vorweisen konnte. Die Medizin in ihrer Gesamtheit wurde zu jener Zeit nicht als allwissend und allheilend wahrgenommen. Im 19. Jahrhundert wird die Medizin sogar als withered arm of science – der verdurstete Ast der Wissenschaft – bezeichnet. Man spricht hier von den dark ages of medicine (vgl. Pettman 2007: 167)
Im Jahre 1874 verkündigte A.T. Still in Kirksville (Missouri, USA) seine Diagnose- und Heilmethode, welche er Osteopathy nannte. Diese Benennung wird zusammengesetzt aus den Griechischen Wörtern στέον oder ostéon was Knochen bedeutet und πάθος oder páthos, was mit Leiden gleichzusetzen ist – und sollte nicht wortwörtlich interpretiert werden. Osteopathie ist ihrer vielseitigen Theorien und Therapiekonzepte wegen deutlich mehr als nur eine Behandlungsmethode für Knochenleiden. SHVLAM sind seit Beginn ein wesentlicher Bestandteil der von A.T. Still initiierten klassischen Osteopathie (vgl. Still 1889: 230). SHVLM werden in den klassischen osteopathischen Theorien beschrieben und in die Behandlungen integriert. Als Still sich seinen neuen anatomisch und biomechanisch basierten Theorien widmete nannte er sich Schüler des medical practitioners und Bonesetters Jim Atkinson, ja sogar the lightening bonesetter (vgl. Pettman 2007: 167)
1885 praktiziert der Kanadier Daniel David Palmer (1845-1913) als magnetic healer eine für diese Zeitepoche populäre Behandlungsmethode in seiner Praxis in Burlington (Iowa, USA) (vgl. Keating 1998: online). Dieser Ort liegt nur 200 Km von Kirksville. Palmer hat in Gegensatz zu Still keinen familiären Bezug zur Medizin. Der ehemalige Fabrikarbeiter, Barkeeper, Gärtner, Bauer, Schullehrer und Lebensmittelverkäufer ist inspiriert von den Theorien des A. T. Still und bildete sich autodidaktisch im Sinne des Bonesettings. Er nannte seine Heilmethode Chiropractic (Altgriechisch: cheir = Hand und praxis = Tätigkeit). Am 18. September 1895 heilte er anscheinend mittels einer manipulativen Justierung eines zervikalen Wirbels die Taubheit von Harvey Lillard. Dieses Ereignis brachte der Chiropraktik positive Publizität. Die Therapiemodelle der Chiropraktik basieren darauf, dass ein subluxierter Wirbel die normale nervöse Versorgung eines Organs und so dessen Funktion stört, was pathologische Erkrankungen hervorbringen kann. Der Begriff Subluxation stammt von Mediziner Johannus Henricus Hieronymi, der in seiner Dissertation von 1746 De luxationibus et subluxationibus diese Benennung im Zusammenhang mit spinale Dysfunktionen beschreibt (vgl. Terret 1987: 29ff). Palmer beschreibt in seinem Werk Chiropractic Adjustor aus dem Jahre 1910, er sei von Jim Atkinson in den manipulativen Techniken geschult worden. Atkinsons Arbeiten, welche 50 Jahre zuvor entstanden waren, beschreiben die gleichen Prinzipien wie Palmers New healing art of chiropractic.
Vom Ende des Zweiten Weltkrieges an ermöglichte der sogenannte G.I.-Bill Tausenden zurückkehrenden US-Soldaten, Chiropraktik zu studieren. Dieser Zustrom lieferte den Impuls, welcher in den USA Chiropraktikern den gleichen Status wie Mediziner verschaffte. In vielen Ländern wurde die Chiropraktik in der Folge gleich eingestuft.
Im 20. Jahrhundert entstanden neue paramedizinische Disziplinen, welche gleich wie verschiedene andere medizinische Disziplinen die spinale Manipulation in ihr Behandlungskonzept integrieren. Martin Littlejohn, ein Student von Still und Gründer des Britisch College of Osteopathy (BCO) in London (1917) unterrichtete Mediziner und Physiotherapeuten in den manuellen SHVLAM. James Beaver Mennell M.D. (1880-1957) und der Physiotherapeut (später M.D.) Edgar Ferdinant Cyriax (1874-1955), beide Absolventen der BCO, lehrten und verbreitete die Theorien der Osteopathie und trugen so wesentlich zu deren Entwicklung in Grossbritannien bei. In letzten Werk, das Mennell im Jahre 1952 publizierte, beschrieb er, wie Probleme der thorakalen Wirbelsäule viszerale Symptome hervorrufen können (vgl. Mennell 1952: 24ff). Wie sein Vater unterrichtete John McMillan Mennell viele Ärzte und Physiotherapeuten in den Theorien und wissenschaftlichen Betrachtungen der osteopathischen und den orthopädisch basierten spinal Thrustmanipulations. Sein Ziel war, nicht nur Mediziner in den SHVLAM zu schulen. Hierdurch wurden für viele Physiotherapeuten die effektive und sichere Schulung und das Training der Impulsmanipulation an der Wirbelsäule zugänglich. 1921 verfasste die Präsidentin der American Physical Therapie Association APTA und Direktorin der Physiotherapieabteilung der renommierten Harvard Medical School, Mary McMillan The Four Branches of Physical Therapy. Ein Band dieses Werkes ist den Manipulationen und Mobilisationen der Muskulatur sowie der peripheren und vertebralen Gelenke gewidmet.
Der Londoner Orthopäde und Sohn von Edgar Ferdinant Cyriax, James Henry Cyriax (1904-1975) entwickelte 1929 die Orthopedic medicine, welche ab 1941 als Therapiemethode dermaßen ausgereift war, dass sie öffentlich angewendet und gelehrt werden konnte. Wirkungsmechanismen der SHVLAM wurden von Cyriax biomechanisch erklärt und für holistische Denkweisen, wie jene der Osteopathie, hatte er keinerlei Verständnis. Cyriax war der Meinung, dass wegen ihrer Ausbildung und praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten speziell die Physiotherapeuten geeignet sind, die Manipulationstechniken zu erlernen und anzuwenden. Er war öffentlich kritisch gegenüber Personen außerhalb der medical umbrella, welche die Manipulations-Techniken ausübten. Er nannte sie lay manipulators (vgl. Löber 2006: 3).
In den 1950er Jahren entstand aus der Physiotherapie die Manuelle Therapie, welche die sogenannten Trust Joint Manipulationen (von welchen die spinalen HVLA-Manipulationen einen Teil sind) als wesentlichen Bestandteil ihrer Behandlungsmethoden ansehen. Der Sportlehrer, Physiotherapeut, Chiropraktiker und Osteopath Freddy Kalteborn begründete zusammen mit Olav Evjenth, Sportlehrer, Physiotherapeut und Manualtherapeut den sogenannten Nordic Approach (vgl. Kalteborn et al. 2003: 1ff.). Beide wurden inspiriert von den biomechanischen Theorien McConaill’s, welche spezifisch die physiologischen Bewegungen der Gelenkoberflächen beschreiben (vgl. McConaill 1951: 251ff., McConaill 1953: 290ff.). Obwohl die Mobilisationen den Löwenanteil des Nordic Approach ausmachen, beschreiben Kalteborn und Mitarbeiter die Thrusmanipulationen, hier low force quick mobilisations genannt, mit dem rein biomechanisch geprägtem Ziel, die Arthrokinematik und die Osteokinematik zu verbessern.
Geoffry D. Maitland (1924-2010), ein Australischer Physiotherapeut, verfasste im Jahre 1964 das Lehrbuch Vertebral Manipulation. Er studierte und arbeitete mit den Ärzten der manuelle Medizin, Osteopathen, Chiropraktikern und Bonesetters. Sowohl John Mennell, James Cyriax als auch Alan Stoddard hatten grossen Einfluss auf ihm. 1965 wurde Maitland in England eingeladen, seine manipulativen Techniken zu demonstrieren, was sein Renommee positiv beeinflusste. Maitlands Methoden, um bewegungseingeschränkte Gelenke zu therapieren, sind weltweit integrierender Bestandteil der Ausbildungen in orthopaedischer manueller Therapie sowie in Osteopathie. Gregory Grieve, ein Weggefährte von James Cyriax hatte grosses Interesse, die meist empirisch erworbenen Theorien wissenschaftlich zu belegen (vgl. Grieve 1989: 2ff.). Er war Mitgründer der Manipulative Association of Chartered Physiotherapists.
Ein besseres Verständnis der Biomechanik, wie dies Adalbert I. Kapandji (geb:1928), ein weltbekannter chirurgischer Handorthopäde und Autor des 3-bändigen Lehrbuchs Physiologie des articulations (vgl. Kapandji 1974) vorantrieb, hatte wesentlichen Einfluss auf die Optimierung der Ausführung sämtliche Manipulationstechniken.
Mitte der 1950er und anfangs der 1960er Jahre verstärkt sich das Interesse, die SHVLAM über deren neurale Wirkungsmechanismen zu erklären (vgl. Tabelle 4.1). Korr und Mitarbeiter schrieben 1955, dass solche Manipulationen sowohl direkte afferente Effekte als auch Veränderungen in der Leitungsfähigkeit der nervösen Elemente, also der Funktion der periphere Nerven, zur Folge haben (vgl. Korr et al. 1955: 265ff.). Dadurch entstehen Modulationen im zentrale Nervensystem und in der Peripherie, welche sich in abweichenden sensorischen, motorischen sowie autonomen Funktionen äussern. Homewood greift dieses Thema 1963 auf, um so die Korrektur von abnormalen somatoviszeralen Reflexen zu erklären (vgl. Homewood 1963: 28ff.). Als Ronald Melzack und Patrick Wall im Jahre 1965 ihre sogenannte Gate Control Theory of Pain in Science publizierten, verlieh dies neue Impulse, die Wirkungsmechanismen der SHVLAM auf neurologischer Grundlage zu erklären (vgl. Melzack/Wall 1965: 971ff.). Kunert erklärte 1965 an einem pharmazeutisches Symposium, wie die Inhibition der sympathischen Grenzstrangaktivität durch verminderte Faszilitation des betreffenden Segments auf Basis einer optimierten Beweglichkeit in den intervertebralen Gelenken stattfindet. Auf Basis einer effektiveren somatisch-afferenten Inhibition kann die Funktion der viszerale Organe positiv beeinflusst werden (vgl. Kunert 1965: 85f.). In Kapitel 5 dieser Arbeit wird auf dieses Phänomen näher eingegangen. Peeters und Lason unterstreichen, dass hauptsächlich die qualitativen Aspekte der Bewegung für die Osteopathie Relevanz haben. 2009 postulierten sie ihr Prinzip der falschen Achse, deren charakteristische Eigenschaften sich auf dem Prinzip der gegenseitigen Beeinflussung von Struktur und Funktion basiert (vgl. Peeters/Lason 2009: 57). Werden Körperstrukturen einer nicht adäquaten Funktion ausgesetzt, finden auf Basis der nichtphysiologischen Belastungen trophische Gewebsänderungen innerhalb der involvierten Strukturen statt. Ist zum Beispiel ein blockiertes Gelenk in seinem Mobilitätsgrad eingeschränkt, so werden bestimmte Bereiche der in dieser Bewegungseinheit involvierten Gelenkskapseln, Ligamente und Muskeln, welche an der Seite des blockierten Gelenks liegen, weniger belastet werden. Sie werden throphische Gewebeveränderungen zeigen, bei denen die Strukturen ihre typische Merkmale verlieren. Ligamente und Kapseln verkürzen sich und verlieren ihre Elastizität, Muskeln atrophieren und büssen kontraktile Fähigkeiten ein. Die Strukturen auf der bewegungsarmen Seite des Bewegungssegments bilden so die falsche Achse. Auch die Qualitäten der auf der gegenüberliegende Seite liegenden Strukturen werden infolge Überdehnung tangiert und erleiden Funktionseinbussen, wodurch über den Faktor Zeit strukturelle Gewebeveränderungen auftreten werden. Dieses Prinzip lässt sich auf alle Körperstrukturen einschliesslich viszeralen und kraniosakralen Strukturen übertragen. (vgl. Peeters/Lason 2009: 616).
anipulationstechnik über eine Zeitspanne von 1600 Jahren in der Medizin angewendet wurden.